
Wenn in einer Gruppe von Motorradfahrern das Thema „Unfall“ aufkommt, dann ist man sich in der Regel recht flott einig: die anderen sind ja schuld. Der berühmte Rentner, der einen übersieht. Die berüchtigte Hausfrau, die ohne zu blinken abbiegt. Der allbekannte Fahranfänger, der einen an der Ampel um mäht, weil er mal wieder aufs Smartphone anstatt auf die Straße geschaut hat. Egal wer Schuld ist, Hauptsache nicht wir. Denn wir halten uns ja immer an alle Vorschriften und Verkehrsregeln und sind natürlich stets 100% bei der Sache, wenn wir auf unseren zwei Rädern durch die Gegend fahren. *zwinkersmiley*
Aber ist das wirklich so? Sind wir wirklich die Opfer der böse, unaufmerksamen Autofahrer? Vom Gefühl her bestimmt. Aber wie das mit Gefühlen so ist, die können trügerisch sein. Deshalb versuchen wir heute mal, die Sache etwas differenzierter zu beleuchten. Grundlage hierfür ist der Bericht der ADAC Unfallvorschung vom April 2015.
Natürlich kommen die oben beschriebenen Szenarien regelmäßig vor. Motorräder werden leichter übersehen als zweispurige Fahrzeuge und auch das Beschleunigungspotential wird oft falsch eingeschätzt. Auch wenn man viel tun kann, um in diesen Szenarien hier die Oberhand zu behalten, ganz ausschließen kann man es nicht. Viele Menschen, die in ihrem Leben nur Autos oder bestenfalls mal ein Mofa/Roller bewegt haben, sind mit Motorrädern im Straßenverkehr überfordert. Geschwindigkeiten und Abstände werden falsch eingeschätzt oder man wird schlicht und einfach übersehen.
Der Fehler, der aber oft gemacht wird: Man geht schnell davon aus, dass der Motorradfahrer ja nur bei den sogenannten „Alleinunfällen“ selbst schuld hat. Allerdings beschreibt ein „Alleinunfall“ ja nur einen Unfall, an dem kein anderes KFZ beteiligt war. Wenn ich als Motorradfahrer unachtsam bin, und einem stehenden Verkehrsteilnehmer hinten drauf fahre, war das sehr wohl meine Schuld, auch wenn es kein Alleinunfall war. Und wenn ich als Motorradfahrer aus einer Rechtskurve getragen werde und in ein entgegenkommendes Auto krache, ist das ebenfalls sehr wohl meine Schuld, auch wenn ein anderes KFZ daran beteiligt war.
Von der Tatsache, dass ganz egal wer jetzt die Schuld an einem Unfall hat, wir Motorradfahrer meist den Kürzeren ziehen, mal ganz abgesehen.

Selbst wenn wir diese Statistik sehr wohlwollend zugunsten der Motorradfahrer interpretieren, und nur die rot umrandeten Unfallarten den Motorradfahrern zur Last legen, dann bekommen wir schon einen ganz anderen Blick auf uns als Motorradfahrer. Nicht nur, dass das Abkommen von der Fahrbahn einen großen Block der Unfallarten einnimmt, hinzu kommen noch diverse Auffahrunfälle (Kollision mit Fahrzeug welches vorausfährt oder wartet), Unfälle mit ruhendem Verkehr und Kollisionen mit Hindernissen. Auch wieder wohlwollend gerechnet, decken diese Unfälle laut dieser Statistik mehr als 50% ab. Also Unfälle, an denen zwar andere Verkehrsteilnehmer beteiligt waren, aber nichts aktiv zu dem Unfall beigetragen haben.
Dass dazu dann noch Unfälle kommen, bei denen der Motorradfahrer die Vorfahrt missachtet hat oder beim Überholvorgang Fehler gemacht hat, muss nicht extra erwähnt werden.
Die Untersuchung des ADAC zeigt auch, dass von diesen ca. 50% der Unfälle, die durch Fehlverhalten der Motorradfahrer verursacht werden, wiederum 23% auf ein abkommen von der Fahrbahn zurückzuführen sind, und 21% auf unangepasste Geschwindigkeit in Kurven. Wobei der Begriff „unangepasste Geschwindigkeit“ recht inflationär gebraucht wird. Oftmals würde die Kurve mit der gefahrenen Geschwindigkeit noch gut genommen werden können, lediglich der „Wille“ zu der erforderlichen Schräglage fehlt. Die einsetzende Panikreaktion „erledigt“ dann den Rest.

Fazit
Wenn man also die Zahlen und Statistiken betrachtet, und sein Bauchgefühl mal zur Seite schiebt, kommt man zu dem Schluss: die gefühlte Wahrheit, dass Motorradfahrer überwiegend durch unaufmerksame Autofahrer von der Straße geholt werden, trügt. Tatsächlich ist der Anteil, der auf unzureichende Fahrzeugbeherrschung zurückzuführen ist, sehr hoch. Dazu kommen auch bei uns Motorradfahrern noch Unaufmerksamkeit und das falsche Einschätzen von Situationen im Straßenverkehr.
Ein Grund, dass wir dennoch oft den Eindruck bekommen, dass der Autofahrer unser natürlicher Feind auf der Straße ist, ist mit Sicherheit auch die Berichterstattung und die Bildgewalt, die eine Kollision zwischen Auto und Motorrad hat.

Dazu kommt, dass man als aktiver Motorradfahrer natürlich selten zu 100% unparteiisch ist. Wenn ihr euch also das nächste mal in so einer Diskussion wiederfindet, denkt kurz an die ADAC-Statistik zurück, bevor ihr wild auf die bösen Autofahrer schimpft.
Zum Abschluss kann ich nur sagen: Motorrad fahren bleibt statistisch gesehen gefährlicher als Autofahren. Aber das Risiko kann ganz individuell minimiert werden. Ein Weg das alles etwas zu entschärfen ist, sich mit dem Thema Motorrad fahren intensiv auseinander zu setzen und natürlich diverse Fahrtrainings. Ob direkt beim ADAC oder über Personal Trainings ist dabei jedem selbst überlassen. Und das eine schließt das andere natürlich nicht aus. Dass man natürlich auch immer entsprechende Schutzkleidung tragen sollte, versteht sich von selbst.
Es ist doch erstaunlich wie wenig selbstkritisch Motorradfahrende mit der Unfallgefahr und dem Aspekt der Eigenverantwortung umgehen. In einschlägigen Facebook-Gruppen beobachte ich das immer wieder. Ein Beitrag, wie dieser hebt sich davon wohltuend ab.
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Danke! Bei so gut wie allen Dingen im Leben, wird man nur dann in etwas besser, wenn man sich selbst ständig kritisch hinterfragt. Und so ist es auch beim Motorrad fahren. Und besser Motorrad zu fahren heißt eben auch, Risiken zu minimieren. Und das sollte eigentlich jedem aktiven Motorrad Fahrer ein großes Anliegen sein. Leider steht oft das eigene Ego im Weg.
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