Angststreifen = Sicherheitsreserve?

Angststreifen, Chicken-Stripe, Respektstreifen oder Bambirand. Alles nicht sehr schmeichelhafte Begrifflichkeiten und ziemlich lange Wörter für so einen mehr oder weniger kleinen Bereich des Reifens. Gemeint sind die jungfräulichen äußeren Bereiche des Hinterreifens, die noch keinen Fahrbahnkontakt hatten.

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Zugegeben, das Beispielbild ist ziemlich krass. Aber hier sieht man deutlich, dass der Reifen am Rand noch nie befahren wurde. Aber was sagt so ein Reifenbild über den Fahrer aus? Nun ja, das kommt jetzt ganz darauf an, wen man fragt. Manche sagen, das wäre ihre persönliche „Sicherheitsreserve“, andere sagen, ein breiter Angststreifen spiegelt die Angst des Fahrers wider, das Motorrad in größere Schräglagen zu bringen.

Zunächst muss man sich vielleicht mal die Faktoren vor Augen führen, die so einen Angststreifen betreffen und beeinflussen. Da ist zum einen der Reifen-Typ und dessen Flankenform (ein Metzeler Roadtec01 SE ist z. B. wesentlich schwerer auf Kante zu fahren als ein Bridgestone S22, da die Flanken des Reifens eine andere Form haben) zum anderen spielt die Reifengröße eine wichtige Rolle: ein schmaler 160er Reifen ist grundsätzlich schwieriger auf Kante zu fahren als ein breiter 190er. Stellen wir uns zwei Motorräder vor, Motorrad „A“ hat einen 160er Hinterreifen, Motorrad „B“ hat einen 180er Hinterreifen. Gehen wir weiter davon aus, dass beide Motorräder in der selben Kurve, auf der gleichen Linie mit 80 km/h fahren, so benötigt Motorrad „B“ mit dem 180er Reifen eine größere Schräglage als Motorrad „A“ mit dem zierlichen 160er.

Warum ist das so? An der Stelle möchte ich „www.motorradonline.de“ zitieren, da ich es selbst nicht besser beschreiben könnte:

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„Reifenbreite und Schwerpunktlage

Je schräger, desto schneller? Nicht unbedingt. Zumindest nicht bei Maschinen mit verschiedenen Reifenbreiten und unterschiedlich hohem Gesamtschwerpunkt von Bike und Fahrer. Beide Parameter beeinflussen die Schräglage. Um die Thematik zu verdeutlichen, sind die Grafiken der beiden Motorradtypen etwas überzogen dargestellt. Die linke Skizze zeigt eine Maschine mit schmalem Reifen und hohem Schwerpunkt. Rechts das Bike mit fetter Walze und tiefem Schwerpunkt. Bei identischer Kurvengeschwindigkeit benötigt die linke Maschine deutlich weniger Fahrzeugschräglage. Wie kommt‘s? Je schmaler der Pneu, desto geringer fällt der Abstand von der Reifenmitte (gelbe Linie = Längsachse des Bikes) zur Reifenschulter aus. Zieht man vom Reifenaufstandspunkt eine Linie durch den Schwerpunkt, fällt der Winkel zur Längsachse vergleichsweise gering aus. Die Längsachse bildet immer auch die Fahrzeugschräglage ab. Ein hoher Schwerpunkt verkleinert den Winkel zur Längsachse ebenfalls. Umgekehrt bildet ein breiter Reifen und/oder ein tiefer Schwerpunkt einen größeren Winkel, die Fahrzeugschräglage steigt. Da die Geschwindigkeit der gezeichneten Bikes identisch ist, ist auch die effektive Schräglage (gestrichelte Linie) gleich. Die Fahrzeugschräglagen unterscheiden sich dagegen deutlich. In der Praxis bedeutet das: Wenn die Husqvarna 701 und die Ducati Diavel mit 50 km/h um die Kreisbahn (Durchmesser 55 Meter) zirkeln, benötigt die Husky nur 38 Grad Fahrzeugschräglage, die Duc dagegen mit 41 Grad drei Grad mehr.“

Gut, damit hätten wir die grundlegende Theorie abgehakt und können uns wieder der eigentlichen Frage widmen: ist ein Angststreifen Sicherheitsreserve?

Meine persönliche Antwort ist: Nein. Eine Sicherheitsreserve ist für meine Begriffe nur dann auch wirklich eine Reserve, wenn ich grundsätzlich in der Lage bin, diese auch falls es nötig wird auszuschöpfen. Jemand der sein Motorrad noch nie in einer Schräglage hatte die zumindest annähernd das volle Potenzial des Reifens ausnutzt, wird das auch nicht in einer Gefahrensituation tun. Die Angst vor der Schräglage wird in dem Fall die Oberhand gewinnen und der Fahrer wird einfach hoffen, dass es auch mit der aktuellen Schräglage (die lediglich das persönliche Maximum des Fahrers, nicht die des Motorrads widerspiegelt) gut geht.

Natürlich soll man nicht immer am Limit durch die Gegend fahren (ich habe bewusst nicht „ballern“ geschrieben, da man nicht unbedingt unerlaubt schnell sein muss um sehr schräg zu fahren), aber man sollte in der Lage sein, sich dem Limit des Reifens und der Maschine, falls nötig, ohne Angst anzunähern. Was dabei ganz klar hilft, sind Sicherheits- / Kurven- und Schräglagentrainings. Unter Anleitung, kontrolliert und auf abgesperrten Bereichen wird man an die Grenzen des Materials herangeführt und die eigenen Grenzen werden ausgeweitet. Wenn die Fähigkeit größere Schräglagen zu fahren erst einmal hergestellt ist, kann man das ohne Probleme auch im Alltag kontrolliert mit einfließen lassen.

Schräglagentraining

Es gibt zahlreiche Anbieter solcher Trainings, einer der bekanntesten dürfe wohl der ADAC sein. So schräg wie die zwei hier wird man damit auf öffentlichen Straßen und mit herkömmlicher Straßenbereifung zwar nicht kommen, aber es macht die alltägliche Teilnahme am Straßenverkehr auf zwei Rädern deutlich sicherer uns spaßiger.

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